Eine Bewegungsstudie für Taiji


„ Überragende Kraft wird nicht tätig, und was sie tut, geschieht absichtslos.

Mindere Kraft wird tätig, und was sie tut, geschieht mit Absicht“

Daodejing Kapitel 38: Übersetzung R.L.Wing, Übersetzung Peter Kobbe

Der horizontale Bewegungsablauf:

Der horizontale Bewegungsablauf

1) Fließende Bewegungen – einen Seidenfaden aus dem Kokon ziehen

Die besondere der Taijibewegungen ist, dass sie nicht Bewegung für, Form für Form einen Anfang und ein Ende haben, einmal begonnen fließt die Bewegung im Rhythmus von Fülle und Leere, Spannung und Entspannung, einatmen und ausatmen, bewusst und aufmerksam begleitet dahin. Es lohnt sich, diesem Fließen nachzuspüren und es ganz tief in sich eindringen zu lassen.

Ein erste einfache Übung hilft, dieses Gefühl zu erfahren und wirken zu lassen:

Man stellt sich dazu im Grundstand*) hin, lenkt seine Aufmerksamkeit auf sein Inneres, die Hände pendeln locker in den Achseln, und beginnt mit einer langsamen Drehung nach links. Zuerst wird ganz bewusst das Gewicht auf den linken Fuß verlagert, der Rumpf, und nur der Rumpf,  beginnt sich von innen heraus zu drehen und er dreht sich bis zum „Anschlag“. Diesen Anschlag spürte man im Kopf, der sich durch die Fliehkraft bewegt, noch gerne etwas weiter drehen würde. Ich atme während dieser Drehung ein. Die Bewegung kommt dynamisch zum Ende und aus dem Ende heraus beginnt die Drehbewegung in die andere, die rechte Seite, gleichzeitig wechselt der Atem von der einatmen zur Ausatmung.  In der Mitte angekommen fühlt man aktiv den Übergang der Bewegung, das Ende und den Neubeginn von der linken auf die rechte Seite ohne die Bewegung zu beenden, ohne innezuhalten und beginnt einatmend sich nach rechts zu drehen. Gemeinsam mit dem begleitenden Atem entsteht bereits nach wenigen Zyklen ein angenehm entspannendes Gefühl der Leichtigkeit und Lockerheit. Diese kleine Übung ist auch sehr geeignet, eine Übungseinheit zu beginnen.

*) Yubaishi, der Grundstand im Qigong QiGong Praxis

2) Jede Bewegung hat ihren Ursprung in unserem Inneren

2) Jede Bewegung hat ihren Ursprung in unserem Inneren

In der vertikalen Vorstellung ausgehend vom silberne Faden aus Licht, der sich nach unserer Vorstellung im Qigong vom Himmel kommend (Nordstern) in BaiHui (der höchsten Stelle am Kopf) in uns eintritt, entlang an der Innenseite der Wirbelsäule hinunter führt in HuYin, dem energetischem Erdtor am unteren Ende unseres Rumpfes um uns dann direkt mit der Erde zu verbinden. Entlang diese feinen Lichtsäule halten wir uns aufrecht und sie bildet auch die Drehachse unserer horizontalen Bewegungen. Die äußeren Bewegungen, vor allem von den Händen, folgen dieser inneren Bewegung und, abgesehen davon, dass es durch die Form vorgesehen ist, machen die Hände keine eigenen Bewegungen.

Aufbauend auf die erste Übung lässt sich diese Abstimmung leicht erfahren.

Man ergänzt die Drehbewegungen zuerst mit einem gehobenen, nach vorne gestreckten Arm und spürt in sich hinein, wie der Arm ruhig und fest am Körper verankert ist gleichzeitig aber am Ende einer Bewegung beharrt, sich weiter zu bewegen. Dieses Mitschwingen ohne Eigenbewegung ist ein charakteristisches Merkmal der Taijibewegungen.

Der vertikale Bewegungsablau

Der vertikale Bewegungsablauf

3) Ein beständiges Sinken und Steigen

Wenn das Gefühl für die schwingende, horizontale Bewegung sich gefestigt hat, sollte man den zweiten, zentralen Bewegungsverlauf, dem Sinken und Steigen widmen. Ich sinke, die Knie beugen sich leicht, das Rückgrat beleibt dabei gerade, ich atme tief und leicht aus und ich steige, einatmend wächst mein Körper entlang des Lichtstrahls in den Himmel.

Die Bewegung nimmt ihren Anfang ganz tief unten, ganz weit drinnen in uns, dort wo die Wirbelsäule auf das Becken trifft. Die Kraft dürfte irgendwo zwischen dem Akupunkturpunkte Du 1 (Dumai 1, Cháng Qiáng – starke Macht, mächtige Stärke*), zwischen Beckenboden und Steißbeinspitze gelegen (mit Verbindung zum Nierenmeridian und zum Renmai, dem Konzeptionsgefäß)  und dem Du 2, Yao Shu (leitet das Qi zur Hüfte). Hilfreich ist es, sich hier beim Sinken etwas gewichtiges (möglicherweise eine Holz-, Stein- oder Metallkugel – es sollte sich angenehm anfühlen) vorzustellen, das einem hinunter zieht und das sich beim Steigen in etwas luftiges (Ballon, Luftballon) verwandelt, das einem nach oben hebt. Die waagrecht gehaltenen Arme machen diese Bewegung mit, die Hände dürfen sich dabei locker und trotzdem leicht gespannt mitbewegen. Daumen und Zeigefinger unterstützen in der Tigermaulhaltung einen harmonischen Qifluss.

Es lohnt sich, diesen Bewegungsablauf auszuprobieren, sich ganz tief darauf einzulassen und dann in weiterer Folge mit der bereits geübten, horizontalen  Bewegung zu verbinden. Es ist darüber hinaus eine sehr einfache Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen, sich wieder selbst zu spüren und sich mit seiner inneren Stärke zu verbinden.

*) Achim Eckert, das DAO/TAO der Akupressur und Akupunktur

4) Ein sanftes Weiten und Engen weiterlesen…

4) Ein sanftes Weiten und Engen

Durch eine am Anfang bewusste Atemführung,  passiert es meist schon von selber. Man steigt, der Körper atmet ein und wird weit, man sinkt, atmet aus und wird fühlt sich ganz drinnen, ganz tief unten ohne das das Qi durch ein geschlossenes HuiYin verloren gehen kann.

Man sollt sich dieses Gefühl aber in einer eignen Übung bewusst machen um es bis in die Handwurzeln zu übertragen und um es auch  während der Form abrufen zu können. Die Übung dazu ist ganz einfach, so schwierig sie auch ist!*)

Hände in Fausthaltung und nach oben gerichtet in der Höhe der Brust an den Körper angelegt, mit dem rechten Arm beginnend den Arm langsam einatmend nach vorne stoßen. Wichtig ist dabei darauf zu achten, dass die Schulter den Stoß nicht unterstützt sonder gefühlt sich eher zurückzieht, Hand (Faust) und Schulter ziehen der Arm quasi auseinander, machen ihn länger. Wen er seine maximale Reichweite erreicht, beginnt die einatmende Gegenbewegung. Gleichzeitig mit der Armbewegung öffnet und engt sich der Körper. Diese Übung erfordert einige Praxis und ist für einen fließend weichen Bewegungsablauf relevant.

*) Qigong, Petra Hinterthür, Foen, Tjoeg Lie und Helmut Oberlack

5) Alles dreht sich, alles bewegt sich spiralförmig

Der zentrale Bewegungsfluss kommt von innen und wirkt nach außen. In den Extremitäten, vor allem aber in den Händen, findet eine vertikale Drehbewegung statt, die auch von innen heraus nach außen sichtbar wird. Wir kennen diese Bewegung als Transformationsbewegung (qinhua *) im Qifluss, die Quellpunkte besonders in den Handgelenken anregen um das Qi zu transformieren.

Die Übung „mit der Faust stoßen“ kann sehr gut mit dieser spiralförmigen Bewegung erweitert werden. Die Faust zeigt am Anfang der Bewegung nach oben und dreht sich mit dem Stoß nach unten, am Ende des Stoßes öffnet sich die Faust und die Hand dreht nach außen als würde sie etwas einsammeln und schließt sich wieder locker  im Rückzug der Hand.

*) Qihua, der Transformationsprozess in dem die verschiedenen Erscheinungsformen des Qi  (Himmelsqi, Erdqi, AtemQi, Nahrungsqi und unser Geburtsqi) zusammenwirken und transformiert werden Qi

6) Die Wolkenhände, sich ganz auf den Bewegungsfluss der Taiji einlassen

Beginnend mit den Schritte 1 bis 5 führt man zu guter Letzt aus der Grundstellung heraus alle Bewegungsteil verbindend und aus einem Guss durch.  Beginnen mit der Drehung nach rechts steigt die rechte Hand und der Körper einatmend nach oben um am Ende der Drehung die Schulterhöhe zu erreichen, sinkt (mit dem Arm) ausatmend im leichten Bogen nach unten und wird vom Körper in der Drehung nach links mitgenommen wobei die Hand die leichte, spiralförmige Drehung beibehält, die linke Hand wandert nach oben. Am Ausklang der Linksdrehung wandert die rechte Hand innenseitig von unten wieder nach oben und die linke  Hand im Gegenzug von oben nach unten. Jetzt beginnt die Drehung nach rechts im spiegelverkehrten Ablauf. Die Hände sind dabei ständig in eine drehenden Bewegung wobei die jeweils untere Hand in die Bewegungsrichtung und die obere Hand entgegengesetzt geöffnet ist.

Die Wolkenhände sind eine wunderbare Übung für zwischendurch aber auch als Einstimmung in eine Übungseinheit.